Sempervivum globiferum (Syn.: Jovibarba globifera) bei Spiazzi

Jovibarba globifera ( L. ) J.Parn. subsp. lagariniana L.Gallo 2009

Sempervivum globiferum L. subsp. lagarinianum ( L.Gallo ) R.Stephenson 2010

Dieses Rosettenpolster mit Blühtrieb wächst direkt an der Felskante, bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi, alle Rechte beim Bildautoren!
Dieses direkt von oben fotografierte Rosettenpolster mit Blühtrieb wächst unmittelbar an der Felskante, bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi

Die auf dieser Seite abgebildeten Pflanzen wurden im Val Lagarina bei Spiazzi aufgenommen. Spiazzi ist ein kleiner Ort in der Region Venetien (Veneto) in Nordostitalien. Er liegt an an der Ostseite des Höhenrückens des Monte Baldo. Das Talsystem, in dem Spiazzi lokalisiert ist und in dem diese speziellen Jovibarba vorkommen, heist Val Lagarina (Vallagarina, Lagertal). Nach diesen Tal ist das hier vorgestellte Taxon der Gruppe Jovibarba genannt, in den Unterüberschriften mit den wissenschaftlichen Namen ganz oben auf dieser Seite findet man deswegen die Beiworte "lagariniana" und "lagarinianum". Auch auf der anderen Talseite, in den Monti Lessini, sind Vertreter dieser Jovibarba zu finden. Sie kommen bis auf eine Ausnahme in Höhen zwischen 700 m bis 1200 m über Meeresspiegel vor. Alle Vorkommen liegen - verwaltungstechnisch gesehen - in der ialienischen Region Venetien, außer einem Vorkommen, das zwar ebenfalls am Monte Baldo, aber in der angrenzenden Region Trentino-Alto Adige zu finden ist, dieses ist besonders niedrig (350 m über dem Meeresspiegel).

 

Die Jovibarba im Val Lagarina wachsen beidseits des Tales, die Stängelblätter und die Kelchblätter sind dicht drüsig behaart, also flächig mit einem feinen Flaum von Drüsenhaaren überzogen. Die Kelchblätter haben keine Cilien.

Das Gebiet

Das Val Lagarina östlich des Gardasees aus dem Spaceshuttle, NASA
Das Val Lagarina östlich des Gardasees aus dem Space Shuttle Atlantis, NASA, Januar 1997

Der Monte Baldo liegt am südlichen Saum der Alpen und erhebt sich zwischen dem Gardasee und dem Etschtal. Das Gebiet des Val Lagarina (Lagarina-Tal, Lagertal) ist auf dem Foto links rot markiert, es liegt grob gesagt zwischen der Stadt Trento im Norden und Verona im Süden, es ist ein Teil des Etschtales. Westlich des Tales ist auf dem Foto blau der Gardasee zu sehen, der Monte Baldo schließt sich gleich östlich daran an, er ist zur Jahreszeit der Aufnahme (Januar) schneebedeckt. Der Monte Baldo ist ein isolierter Gebirgsstock mit mehreren Gipfeln und hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von ca. 30 km. Er gehört noch zu den Gardaseebergen. Die östliche Seite des Val Lagarina wird zu den Monti Lessini bzw. zu den Prealpi Veneti (Venetischen Voralpen) gerechnet.

Das Vorkommen von Jovibarba im Gebiet des Val Lagarina ist sehr isoliert von anderen Vorkommen der Art. Die anderen Vertreter der Art in Nordostitalien finden sich um einiges nordöstlich vor allem im Gebiet des Pustertals und des Karnischen Hauptkammes und sind mit den angrenzenden Vorkommen in Österreich eng verbunden. Besonders die Ostseite des Monte Baldo ist sehr artenreich. Die höheren Bereiche und wohl auch die Südabdachung des Gebirgsstocks waren während der letzten Kaltzeit unvergletschert. Oft wird der Monte Baldo als "der botanische Garten Italiens" oder als "der Garten Italiens" bezeichnet. Er ist für botanisch und zoologisch Interessierte, Geoökologen, Naturfreunde und Naturfotografen eine wahre Fundgrube und auch landschaftlich ein lohnendes Ziel!

 

(NASA-Foto links oben: aus Wikimedia Commons, Lizenz gemeinfrei, da Werk der NASA - Image Use Policy, deritative work: Gio 2000

Die Rosetten

Rosetten der Jovibarba bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi, alle Rechte beim Bildautoren!
Rosetten der Jovibarba bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi

Die blaugrün-graue, teils bemehlte (glauke) Färbung der Mutterrosetten mit den hell orangebraun bis rotbraun gefärbten Blattunterseiten bei den Tochterrosetten ist charakteristisch, falls der Standort wie üblich sehr sonnig und trocken ist. Manchmal sind auch die Blattunterseiten der äußeren (älteren) Rosettenblätter großer Rosetten solcherart gefärbt.

 

Der Durchmesser der Rosetten liegt zwischen 3 und 7 cm, in der Regel liegt er bei 4 bis 5 cm. Sie sind meist halb offen.

Gesteinsart

Zerbrochener Stein eines Standorts der Jovibarba bei Spiazzi, 05.08.2011, Ausschnitt, Foto: Roberto Siniscalchi, alle Rechte vorbehalten!
Zerbrochener Stein, Ausschnitt d. Fotos v, oben

Die Gesteinsart sieht zunächst nach Kalk aus, allerdings ist der zerbrochene Stein über dem Polster interessant, er zeigt eine bernsteinbraune Innenfärbung.

 

Worum mag es sich da handeln? Um Feuerstein (Flint) oder ein anderes Chert-Gestein ?

Sind die anderen Steine des Substrats auf diesem Foto auch Feuersteine bzw. Chert? Welche Bodenreaktion besteht hier? Auf welchem Gestein wachsen andere Populationen dieses Taxons? Auch auf Feuerstein bzw. anderen an Kieselsäure (Siliciumdioxid) reichen Gesteinen? Auf welcher Gesteinsunterlage und welcher Bodenreaktion wachsen die anderen Vertreter der Art?

Rosettenblatt und Bewimperung

Rosettenblatt mit Wimpern, Jovibarba von Spiazzi, Ende Oktober, Foto: Manuel Werner
Rosettenblatt mit Wimpern, Jovibarba von Spiazzi, Ende Oktober, Foto: Manuel Werner

Links ist ein äußeres Rosettenblatt einer Jovibarba aus der Gegend von Spiazzi zu sehen.

 

Solche Rosettenblätter sind laut L. GALLO zwischen 15 bis 25 mm lang und zwischen 5 bis 6 mm breit. Hier ist ein recht großes Rosettenblatt einer großen Rosette in Vergrößerung abgebildet. Weiß heben sich die Wimpern (Cilien) bzw. Fransen ab, die an der Seite der Rosettenblätter angeordnet sind. Nicht umsonst heißt die Art im Deutschen "Gewöhnliche Fransenhauswurz". Auch am Kiel finden sich vereinzelt solche Cilien, wie man das von dem Taxon hirtum kennt.

 

Das Blatt ist Ende Oktober aufgenommen, es ist nicht mehr prall mit Flüssigkeit gefüllt, die rotbraune Färbung ist hier sehr ausgeprägt.

 

Wie alle anderen Fotos auf dieser Seite kann man auch diese Abbildung durch einen Mausklick vergrößern (dann sieht man auch die vereinzelten Fransen am Kiel des Blattes).

Blühende Pflanzen

Dieses Rosettenpolster mit Blühtrieb wächst direkt an der Felskante, bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi, alle Rechte beim Bildautoren!
Im Habitat, blühende Jovibarben, bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi

Im August blühen diese Pflanzen, sie sind - wie auch auf dem Foto ersichtlich ist - nicht als blühfaul zu bezeichnen. Die Höhe der blühenden Pflanze liegt laut L. GALLO in der Regel zwischen 22 und 25 cm, kann aber auch 17 cm betragen.

Der Durchmesser des Blütenstandes beträgt um die 6 cm, die Petalen (Kronblätter, Blütenblätter) sind 15-20 mm lang, die Kelchblätter sind wie auch die Stängelblätter fein drüsig behaart.

Der Blühtrieb ist bei seine Ausbildung anfangs gekrümmt. Die Petalen sind weiß mit zart gelbgrünlichem, länglichen Innenbereich, die Blüten röhrenförmig und nicht glockenfömig. 

Begleitpflanzen am Standort

Klicken Sie auf die sechs Fotos oben, dann erscheinen sie größer und eine Beschreibung! - Alle Pflanzen in situ, alle Fotos von Roberto Siniscalchi

Sempervivum tectorum bei Spiazzi, am selben Standort und an demselben Gestein (Feuerstein?) wie die hier vorgestellten Sempervivum globiferum, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi
Sempervivum tectorum bei Spiazzi, am selben Standort und an demselben Gestein (Feuerstein?) wie die hier vorgestellten Sempervivum globiferum, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi

Weitere interessante Lebewesen im Gebiet

Klicken Sie auf die beiden Fotos oben, dann erscheinen diese ebenfalls Sonne und Wärme liebenden Lebewesen größer und eine Beschreibung! Beide Exemplare gehören zu derselben Art, es sind keine verschiedenen Unterarten, sondern Farbvarianten - Beide Fotos von Roberto Siniscalchi

Entdeckungs- und Beschreibungsgeschichte des Taxons

Blühende er Jovibarba bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, Foto: Roberto Siniscalchi, alle Rechte beim Bildautoren!
Blühende Jovibarba bei Spiazzi, 05.08.2011, in situ, die Petalen sind 15-20 mm lang, der Durchmesser des Blütenstand beträgt um 6 cm, Foto: Roberto Siniscalchi

Schon seit fast zwei Jahrhunderten ist bekannt, dass bei Spiazzi Sempervivum globiferum vorkommt. Die dort vorkommenden Jovibarba wurden seit 1822 als Sempervivum hirtum (Jovibarba hirta bzw. Jovibarba globifera subsp. hirta bzw. Sempervivum globiferum subsp. hirtum) eingeordnet.

 

Der Lektotyp dieses Taxons, dem die Jovibarba bei Spiazzi bislang zugeordnet wurden, war bereits von Joachim BURSER (1583-1639) in den Radstädter Tauern herbarisiert worden, als Sempervivum hirtum L. (Herb. Burser, XVI, 1:54 - UPS). Im Jahr 1822 herbarisierte Ciro (auch: Cyrus) POLLINI (1782-1833) Jovibarba in der Gegend von Spiazzi und beschrieb die Pfanzen als Sempervivum hirsutum, dies aber nach dem Vienna-Code bzw. IPNI ungültig bzw. regelwidrig (illeg.). Wahrscheinlich meinte Ciro POLLINI statt hirsutum: hirtum.1890 herbarisierte Agostino (auch: Augustin) GOIRAN Jovibarba am Monte Limo über Spiazzi und ordnete die Pflanze als Sempervivum hirtum L. ein, eine Art, die bereits Carl von LINNÈ erstbeschrieben hatte.

Ein Hauswurz-Vorkommen in der Gegend (Monte Baldo, Monti Lessini) mit sehr weißlichen Blüten hatte vermutlich bereits Jean François SÉGUIER (1703-1784) im Jahr 1745 beschrieben. Er verwendete hierfür die lateinischen Worte Sedum majus latifolium floribus magnus albicantibus.  "Sedum majus" war zu jener Zeit eine gebräuchliche Bezeichnung für Sempervivum - meist für S. tectorum verwendet. Die weitere Beschreibung " latifolium floribus magnus albicantibus" bedeutet so viel wie "mit breiten Blättern, die Blüten sehr weiß werdend".  Hierbei könnte es sich um "unsere" hier vorgestellten Jovibarba handeln, die ja sehr weißliche Blüten haben, allerdings kommen in der beschriebenen Gegend auch Sempervivum tectorum vor. Deren Blüten können durchaus auch sehr weißlich gefärbt sein, wie man von anderen Standorten weiß. Meist aber sind deren Blüten im Gebiet deutlich rötlich gefärbt, wie man auch auf dem unten präsentierten Foto blühender S. tectorum vom selben Standort ersehen kann.  

 

Im Jahr 2008 schlug Lorenzo GALLO vor, die in der Gegend des Lagarina-Tals vorkommenden Sempervivum globiferum (Syn.: Jovibarba globifera) von Sempervivum globiferum subsp. hirtum (Syn. Jovibarba globifera subsp. hirta) als neue Unterart (subsp. nova) abzugrenzen, die im Lagarina-Tal endemisch vorkommt. Er beschrieb und benannte sie deswegen als Jovibarba globifera ( L. ) J.Parn. subsp. lagariniana L.Gallo 2009. Diese Beschreibung veröffentlichte er gültig (Quelle:
Ann. Mus. Civici-Rovereto 23: 141-154. 2008 ; cf. Repert. Pl. Succ. 59: 13. 2009) mit dem vielsagenden Beititel "NUOVA ENTITÀ ENDEMICA DELLA VAL LAGARINA (VENETO/TRENTINO-ALTO ADIGE; ITALIA) . Als Holotypus legte Lorenzo GALLO ein Individuum fest, das Agostino (Augustin) GOIRAN (1835-1909) am 1. September 1890 am Monte Limo (Monte Cimo) oberhalb Spiazzi gesammelt und als Sempervivum hirtum eingeordnet hatte.

 

Im Jahr 2010 kombinierte Ray STEPHENSON die Unterart um, er ordnete sie statt in einer Gattung Jovibarba und in die Art Jovibarba globifera in die Gattung Sempervivum und in die Art Sempervivum globiferum ein (CactusWorld 28(4): 233. 2010 [Dec 2010]). Demzufolge lautet die wissenschaftliche Benennung der Unterart: Sempervivum globiferum L. subsp. lagarinianum ( L.GALLO ) R.STEPHENSON 2010.

Die Hauptarbeit mit genauer Untersuchung und - auch lateinischer - Beschreibung (Diagnosis) hat Lorenzo GALLO geleistet. L. GALLO stellte in seiner in Italienisch geschriebenen Arbeit auch eine erste Diskussion zur Abgrenzung dieses Taxons von den anderen Taxa der Art vor. Der Holotypus der von L. GALLO beschriebenen Unterart ist im Martelli Herbarium, Botanisches Institut der Universität von Florenz, zu finden.

Erste persönliche Einschätzung, hypothetische Bewertung

Vergletscherung am Beispiel des Buarbreen, Foto: Manuel Werner
Vergletscherung

Die insgesamt von den weiter nordöstlich zu findenden Verwandten von ostalpinen Jovibarba sehr isolierten Jovibarba-Vorkommen in der näheren und weiteren Umgebung von Spiazzi im Val Lagarina haben meiner Meinung nach damit zu tun, dass manche Gebiete dort in der letzten Kaltzeit des Eiszeitalters Refugien gewesen sind. Der gewaltige Eisschild trennte die früher vermutlich umfangreicher verbreiteten und mehr miteinander verbundenen Vorkommen der Art nachhaltig. Der Monte Baldo war ein Nunatak, dessen obere Regionen waren von der plateauartigen Vergletscherung des damaligen Eisschildes und von den Gletscherzungen der begleitenden Täler wie auch etliche Gebiete am südlichen Saum der Alpen nicht betroffen. In solchen Refugien konnten Arten aus der warmen Tertiärzeit die eiszeitliche Kaltzeit überdauern und teilweise andere Gebiete nach dem Schmelzen der Gletscher besiedeln. Es haben auch andere Relikte dort überdauert, auch seltene Endemiten sind an diesem Biodiversitäts-Hotspot zu finden.

 

Genauere Untersuchungen und Vergleiche der anderen ostalpinen Unterarten von S. globiferum (J. globifera, also der Taxa "hirtum", "arenarium" und "glabrescens") mit den Jovibarba des Val Lagarina könnten die Einstufung als weitere Unterart als angebracht erscheinen lassen. Morphologisch wäre eine etwaige unterschiedlich ausgeprägte drüsige Behaarung der Rosettenblätter, Stängelblätter und Kelchblätter eine wichtige Vergleichsaufgabe in Bezug auf diese Taxa, eine Gebundenheit an bestimmte Gesteine, eventuell ergeben molekulare Untersuchungen und Vergleiche weitere interessante Ergebnisse zu den Verwandtschafts- und Abstammungsverhältnissen. Dazu muss auch die Bandbreite solcher morphologischen Ausprägungen innerhalb dieser Taxa beachtet werden. Der entscheidende Punkt ist wohl, in welchem Ausmaß man das Taxon hirtum (S. globiferum subsp. hirtum, Syn.: Jovibarba globifera subsp. hirta) und dessen stark ausgeprägte Variabilität definiert und ob die Populationen des Val Lagarina dann darunter fallen. Es ist vorstellbar, dass sich aufgrund der geografischen Isolation im Val Lagarina im Laufe der Zeit genügend Unterschiede zu dem wohl am nahesten verwandten Taxon hirtum ausgebildet haben, die eine Einstufung als eigene Unterart stützen.

Dank

Ich danke Beatrix BODMEIER, Steinhöring, Deutschland, für Rückmeldung aus Exkursionen im Gebiet und Roberto SINISCALCHI, Bressanone, Italien, sehr herzlich für die herrlichen Fotos, die diesen Beitrag mehr als illustrieren.

 

10.11.2011

 

Manuel Werner

Translation of this Website? Traduci questo sito? Перевести этот сайт?

Mit dem Translator - zu finden über diesen Zeilen - können Sie die Inhalte dieser Website mit einem Mausklick in viele Sprachen übersetzen! - 

Found on these lines - With the Translator you can translate the contents of this website quickly in many languages! -

IP-Check